Eine tödliche Erbkrankheit beim Shiba 

Im Jahre 2000 wurde in Japan erstmals beim Shiba eine seltene Erbkrankheit diagnostiziert, die bei verschiedenen Hunderassen bekannt ist, beim Shiba bis dahin jedoch noch nicht aufgetreten war. Es handelt sich um eine sog. Speicherkrankheit (Stoffwechselkrankheit) mit Namen GM1-Gangliosidose, die nicht heilbar ist und innerhalb von anderthalb Jahren tödlich endet.

Entdeckt wurde die Krankheit von einer Gruppe von Veterinärmedizinern um Dr. Osamu Yamato an der Hokkaido University in Sapporo. Diese Wissenschaftler haben nach kurzer Zeit die Ursache dieser Krankheit beim Shiba erkannt (eine Genmutation) und entwickeln seitdem neue Verfahren zur Diagnose. Sie gehen davon aus, daß es "bereits einen hohen Verbreitungsgrad in ganz Japan gibt" und daher "Vorsorgemaßnahmen gegen die GM1-Gangliosidose bei Shibas getroffen werden sollten, um die Krankheitsträger auszuschalten oder zumindest die Verbreitung von Krankheitsträgern zu reduzieren".[1] Die Forscher befürchten auch, daß diese neue Krankheit bereits Amerika, Europa oder Australien erreicht haben könnte.

top   Was ist Gangliosidose? 

Die Gangliosidosen gehören zu einer Gruppe von Erbkrankheiten, die man als "lysosomale Speicherkrankheiten" bezeichnet.

Lysosomen sind bestimmte Bereiche innerhalb der Zelle, in denen wie in einer "Kläranlage" viele Stoffe ab- bzw. umgebaut werden. Moleküle, die diese Ab- bzw. Umbauarbeit leisten, nennt man Enzyme. Bei einer lysosomalen Speichererkrankung werden die Stoffe, die aufgrund eines Enzymmangels nicht weiterverarbeitet werden können, in den Lysosomen abgelagert. Im Fall der Gangliosidosen kommt es zu einer Anreicherung von Gangliosiden (Fett-Zucker-Verbindungen) in den Zellen des Gehirns. Dadurch werden lebenswichtige Zellfunktionen im Gehirn gestört, was zu schweren Krankheitssymptomen führt.

Die Gangliosidosen kommen in zwei verschiedenen Formen vor. Die GM1-Gangliosidose wird durch einen ererbten Mangel des Enzyms Beta-Galaktosidase verursacht. Bei ihr beginnen die neurologischen Symptome etwas später (ca. ab dem 4. Lebensmonat) und schreiten langsamer fort. Bei der GM2-Gangliosidose fehlt das Enzym Beta-Hexosaminidase, das Krankheitsbild zeigt sich in der Regel früher und verschlimmert sich schneller. Obwohl beide Formen der Gangliosidose ähnliche Symptome aufweisen, werden sie durch völlig unterschiedliche genetische Fehler zweier verschiedener lysosomaler Enzyme hervorgerufen. Diese als Mutationen bezeichneten genetischen Fehler beruhen auf einer Änderung im genetischen Code.

Das Tückische an diesen beiden Erkrankungen ist, daß sie verdeckt (autosomal-rezessiv) vererbt werden. Bei dieser Vererbung kommt es erst dann zu der Erkrankung, wenn beide Ausfertigungen eines kritischen Gens defekt sind. (Dagegen kommt es bei einer autosomal-dominanten Vererbung bereits dann zu der Erkrankung, wenn eine defekte Ausfertigung eines kritischen Gens vorliegt.) Der Erbgang der Gangliosidosen folgt hierbei den klassischen Regeln der Vererbungslehre. Ein Individuum erbt immer eine Genkopie von der Mutter und eine vom Vater. Bei einem rezessiven Erbgang verhält es sich so, daß Hunde, die nur eine Kopie des Krankheitsgens tragen (d.h. heterozygot sind), klinisch gesund, aber Anlageträger sind. Anlageträger selbst werden diese Krankheit nie bekommen, aber sie vererben das defekte Gen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit an ihre Nachkommen weiter. Nur wenn zwei Kopien des defekten Gens (von Vater und Mutter) vorhanden sind, d.h. der Welpe homozygot ist, bricht die Erkrankung aus. Verpaart man Anlageträger miteinander, werden rein statistisch 25% der Nachkommen an der Gangliosidose erkranken, 50% die Erbanlage tragen und 25% frei von dem Krankheitsgen sein.

Auch bei einer Verpaarung von Erbgesunden und Anlageträgern ist Vorsicht geboten. Es können zwar keine Nachkommen an der Gangliosidose erkranken, aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% Anlageträger hervorgebracht werden. Hierbei kann das "kranke" Gen unwissentlich in der Hundepopulation verbreitet werden.

top   Bei wem tritt Gangliosidose auf? 

Die Gangliosidose ist bisher außer beim Menschen auch bei Katzen, Schafen, Kälbern und Hunden aufgetreten. Die Erkrankung bei Hunden ähnelt derjenigen bei Menschen am meisten und wird daher intensiv erforscht.

Bei Hunden wurde die GM1-Gangliosidose bislang bei Beagle-Kreuzungen (1976), Englischen Springer Spaniels (1983), Portugiesischen Wasserhunden (1988), Alaskan Huskies (1998) und einem Mischling unbekannter Herkunft (2000) mit ähnlichen Befunden nachgewiesen. Gut erforscht ist diese Erkrankung dank einer veterinärmedizinischen Dissertation der Universität Gießen beim Alaskan Husky.[2] [3]

Die GM2-Gangliosidose wurde bisher beim Deutsch Kurzhaar (German Short-haired Pointer) (1967/1989), beim Japanese Spaniel (Chin) (1985) und beim Golden Retriever (2000) festgestellt. Der Deutsch Kurzhaar zeigte im Alter von 6 bis 9 Monaten neurologische Symptome wie Sehstörungen, Koordinationsprobleme, abnormes Verhalten und einen steifen Gang. Beim Chin war das Krankheitsbild ähnlich, allerdings war der Hund bereits zwei Jahre alt. Der Golden Retriever litt an der sog. Sandhoff-Variante der GM2-Gangliosidose.

top   Wie stellt der Arzt GM1-Gangliosidose fest? 

Diagnostiziert wird anhand von klinischen Anzeichen, Labortests und pathologischen Auffälligkeiten des Gehirns. Molekulartests für diese Krankheit sind bisher ziemlich kompliziert. Zur Zeit werden in Japan von der Gruppe um Dr. Yamato neue Diagnoseverfahren anhand der Krankheitsfälle beim Shiba entwickelt.[4] [5] [6]

top   Das Krankheitsbild bei den Shibas in Japan 

Erstmals wurde die GM1-Gangliosidose im Jahr 1999/2000 bei einer 6 Monate alten reinrassigen Shiba-Hündin diagnostiziert, die seit dem ersten Lebensmonat an motorischen Fehlfunktionen litt und Anzeichen von Gehirnstörungen wie motorische Koordinationsprobleme (Ataxie, Dysmetrie) und Kopfzittern (Tremor) zeigte. Ein Geschwisterteil mit Beta-Galaktosidase-Mangel im Gehirn und inneren Organen war bereits nach einem Monat gestorben. Die Eltern des Welpen hatten eine um die Hälfte verminderte Beta-Galaktosidase-Aktivität und waren heterozygot. Das Krankheitsmuster deutete auf eine autosomal-rezessive Erbkrankheit hin.[7] [8]

Zwei Jahre später wurde die Diagnose bestätigt. Als Ursache für die GM1-Gangliosidose bei Shibas wurde eine homozygot-rezessive Mutation identifiziert, in deren Folge die Cytosin-Base auf Position 1647 der Kodierungsregion des Gens für die Beta-Galaktosidase deletiert (entfernt) wurde. Es handelt sich dabei um eine neuartige Mutation, die zur caninen GM1-Gangliosidose führt.[5] [9]

Ein weiteres Jahr später veröffentlichten die Forscher um Dr. Yamato eine Studie zum Krankheitsbild, das sich bei den erkrankten Shibas wie folgt äußerte. Der Ausbruch erfolgte mit 5-6 Monaten, wobei die Hunde progressive neurologische Symptome wie Verlust der Balance, sporadische Lähmungen, Ataxie, Dysmetrie und Intentionstremor des Kopfs zeigten. Im Alter von 10 Monaten waren die Hunde nicht mehr in der Lage zu stehen. Zwischen 9 bis 12 Monaten wurden Hornhauttrübungen, Sehstörungen, allgemeine Muskelstarre, emotionale Störungen und eine Tendenz zu Lethargie beobachtet. Ab dem 13. Monat wurden die Hunde lethargisch. Die Lebenserwartung betrug nicht mehr als 15 Monate.[10]

Die folgenden Informationen und Bilder wurden uns freundlicherweise von Dr. Yamato von der Hokkaido University in Sapporo, Japan, zur Verfügung gestellt (jetzt Kagoshima University). Sie illustrieren den Krankheitsverlauf anhand verschiedener erkrankter Shibas.

Alter (Monate) Klinische Zeichen
<5 Keine klinischen oder neurologischen Zeichen
5-6 Verlust der Balance, Lahmheit (sporadisch), Ataxie (milde bis moderat), Dysmetrie (hauptsächlich Hypermetrie), Kopftremor (Intentionstremor)
7-8 Ataxie (schwer), torkelnder Gang, übertriebene Schreckhaftigkeit
9-10 Ataktische Abasie, Astasie, Hornhauttrübung, Sehfehler, Rigor mit Spastizität der Muskeln an Gliedern und Kamm, emotionale Störung
11-12 Allgemeiner Rigor mit Spastizität der Muskeln, tonische Krämpfe, Tendenz zur Lethargie, Geräuschunempfindlichkeit, Gewichtsverlust
13< Lethargie, Tod (meist nach 14 Monaten)

1 Monat
4 Monate
6 Monate
9 Monate
11 Monate
13 Monate

top   Literatur 


[1]  Yamato O., Jo E.-O., Chang H.-S., Satoh H., Shoda T., Sato R., Uechi M., Kawasaki N., Naito Y., Yamasaki M., Maede Y., Arai T.: Molecular screening of canine GM1 gangliosidosis using blood smear specimens after prolonged storage: detection of carriers among shiba dogs in northern Japan, Journal of Veterinary Diagnostic Investigation 20 (2008), pp. 68-71.

[2]  Gundi Müller: Die GM1-Gangliosidose beim Alaskan Husky unter besonderer Berücksichtigung der neuropathologischen Veränderungen, Diss. Univ. 2001.

[3]  Robert Kreutzer, Tosso Leeb, Gundi Müller, Andreas Moritz, Wolfgang Baumgärtner: A duplication in the canine β-galactosidase gene GLB1 causes exon skipping and GM1-gangliosidosis in Alaskan Huskies, Genetics 170 (2005), pp. 1857-1861.

[4]  Satoh H., Yamato O., Asano T., Yamasaki M., Maede Y.: Increased concentration of GM1-ganglioside in cerebrospinal fluid in dogs with GM1- and GM2-gangliosidoses and its clinical application for diagnosis, Journal of Veterinary Diagnostic Investigation 16 (2004), pp. 223-226.

[5]  Yamato O., Kobayashi A., Satoh H., Endoh D., Shoda T., Masuoka Y., Hatakeyama A., Jo E. O., Asano T., Yonemura M., Yamasaki M., Maede Y.: Comparison of polymerase chain reaction-restriction fragment length polymorphism assay and enzyme assay for diagnosis of G(M1)-gangliosidosis in Shiba dogs, Journal of Veterinary Diagnostic Investigation 16 (2004), pp. 299-304.

[6]  Yamato O., Jo E. O., Shoda T., Yamasaki M., Maede Y.: Rapid and simple mutation screening of G(M1) gangliosidosis in Shiba dogs by direct amplification of deoxyribonucleic acid from various forms of canine whole-blood specimens, Journal of Veterinary Diagnostic Investigation 16 (2004), pp. 469-472.

[7]  Eriko Hayashida: Pathological Studies of GM1 Gangliosidosis in a Shiba Dog, Japanese Journal of Veterinary Medicine 47 (1-2) (1999), pp. 87-88.
Yamato O., Ochiai K., Masuoka Y., Hayashida E., Tajima M., Omae S., Iijima M., Umemura T., Maede Y.: GM1 gangliosidosis in shiba dogs, The Veterinary Record 146 (2000), pp. 493-496.

[8]  Tanaka H., Nakayama M., Sugiyama Y., Yamato O.: GM1 gangliosidosis diagnosed on the basis of assay of leukocytic lysosomal-enzyme activity in a Shiba-breed dog, Journal of the Japanese Veterinary Medical Association 54 (2001), pp. 625-627 (in Japanese with English summary).

[9]  Yamato O., Endoh D., Kobayashi A., Masuoka Y., Yonemura M., Hatakeyama A., Satoh H., Tajima M., Yamasaki M., Maede Y.: A novel mutation in the gene for canine acid β-galactosidase that causes GM1-gangliosidosis in Shiba dogs, Journal of Inherited Metabolic Disease 25 (2002), pp. 525-526.

[10]  Yamato O., Masuoka Y., Yonemura M., Hatakeyama A., Satoh H., Kobayashi A., Nakayama M., Asano T., Shoda T., Yamasaki M., Ochiai K., Umemura T., Maede Y.: Clinical and clinico-pathologic characteristics of Shiba dogs with a deficiency of lysosomal acid β-galactosidase: a canine model of human GM1 gangliosidosis, Journal of Veterinary Medical Science 65 (2003), pp. 213-217.

© 2005-2008 Holger Funk

Auch veröffentlicht in Shibas USA, International Issue 2006

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